Wie gut gelingt es Ihnen, jemandem etwas Kritisches zu sagen, ohne dass die Person sich angegriffen fühlt, beleidigt ist oder sich verbal wehrt? Und wie geht es Ihnen persönlich, wenn Sie mit Kritik an Ihrer Person konfrontiert werden? Fantastisch, oder? Natürlich nicht – wahrscheinlich eher nicht gut.
In Workshops stelle ich den Führungskräften immer wieder folgende Frage: „Wie möchten Sie kritisiert werden?“ Ich stelle auch Ihnen diese Frage: Wie lautet Ihre Antwort? Falls Sie spontan sagen „Am besten gar nicht.“, dann sind Sie in guter Gesellschaft mit den meisten Führungskräften. Fast alle in den Workshops antworten sehr schnell und klar, dass sie am liebsten keine Kritik bekommen möchten. Und das ist normal und menschlich.
Warum mögen wir keine Kritik?
Kritik kann verletzen oder kränken. Laut Friedrich Glasl (einem sehr renommierten Forscher auf dem Gebiet „Konflikte“) wird Kritik als Angriff auf das Selbstwertgefühl wahrgenommen. Wir fühlen uns danach meistens nicht gut. Nur den wenigsten Menschen gelingt es, Kritik innerlich abzutun und sie nicht persönlich zu nehmen oder gar an sich heranzulassen. Da wir häufig eine kritische Rückmeldung als „Angriff“ wahrnehmen, löst das oft unsere verbale Verteidigung aus. Wir nehmen entweder ungerne oder gar nicht an, was wir gerade über uns gehört haben: „Das war ich nicht.“, „Das habe ich gar nicht so gesagt/ gemeint/ getan“ etc. Eine andere Reaktion ist, sich zurückzuziehen, kein Wort mehr mit der Person zu wechseln, diese innerlich als „mein Feind“ einstufen oder im schlimmsten Fall einen Konflikt (gerne mit Gegenangriff) vom „Zaun brechen“.
In den meisten Fällen wird Kritik so geäußert, dass wir sie nicht annehmen. Damit ist keinem geholfen. Dann hätte sich die Person, die die Kritik geäußert hat, sie sich auch „sparen können“ oder?
Aber wie können wir Kritik äußern, dass sie gehört und im besten Fall auch akzeptiert wird?
Ich habe für Sie einen hilfreichen Tipp, den Sie gerne ausprobieren können: Nutzen Sie das sog. SAG-ES-Modell.
Damit können Sie Ihre Kritik gut ausformulieren, um die Person abzuholen und das Verhalten (welches Sie nicht gut finden) sachlich zu beschreiben. Gleichzeitig involvieren Sie die Person ins Gespräch, indem Sie respektvoll nach der Meinung zu dem Verhalten fragen. Klingt einfach oder? Ist es aber leider nicht, weil wir meisten innerlich auch emotional aufgewühlt sind und es geht um unsere negativen Emotionen, die wir verspüren. Es lohnt sich somit vor dem Gespräch, sich zu beruhigen, vielleicht ein Tag abzuwarten und erst dann das SAG-ES-Modell zu nutzen.
Wie funktioniert das SAG-ES-Modell
Jeder Buchstabe steht für einen Schritt in dem Gespräch, in dem Sie ein kritisches Feedback geben möchten.
S – Situation/ Sichtweise schildern
A – Auswirkungen beschreiben
G – Gefühle benennen
E – Erfragen, wie der andere die Situation sieht
S – Schlussfolgerungen vereinbaren
Um sich dieses Modell besser vorstellen zu können, nehmen wir eine echte Situation aus dem Büroalltag. Es passiert, dass Sie vielleicht Auszubildende oder Praktikanten im Büro beschäftigen, welche für die nächsten drei Monate in Ihrem Versicherungsbüro mitarbeiten. Möglicherweise haben Sie momentan keinen festen Arbeitsplatz für diese junge Person. Sie soll an einem Tag Kundenadressen bereinigen und muss mit Ihrer speziellen Datenbank arbeiten. Dafür setzt sie/er sich für einen Tag an Ihren Schreibtisch. Als Sie dann am nächsten Morgen wieder ins Büro kommen, finden Sie Ihren Schreibtisch nicht so vor, wie Sie sich das wünschen. Im Gegenteil: Eine halb volle Kaffeetasse steht herum, Ordner und mehrere Stifte liegen kreuz und quer auf dem Tisch. Sie ärgern sich über dieses Chaos. Bevor Sie anfangen können zu arbeiten, müssen Sie zunächst die verschiedenen Gegenstände aufräumen. Das ist ärgerlich, zumal Sie heute viel zu erledigen haben. Außerdem finden Sie es respektlos. Sie selbst würden niemals den Schreibtisch einer anderen Person so unordentlich hinterlassen.
Nun kommt Ihr/e Auszubildende/r ins Büro. Sie möchten nun die Situation ansprechen, aber am besten so, dass Sie die junge Person nicht angreifen, sondern ihr gleichzeitig etwas beibringen und bei ihrer Weiterentwicklung unterstützen. Für solche und ähnliche Situationen ist das SAG-ES-Modell sehr gut geeignet.
Im ersten Schritt nutzen Sie die Phase mit dem Buchstaben:
„S“ – Sie schildern die Situation, um die es geht, um die Person gedanklich abzuholen. Sie können hierfür folgende Sätze nutzen: „Mir ist aufgefallen, dass…“, „Neulich habe ich paar Mal gesehen, dass…“. In unserem Beispiel könnten Sie sagen: „Mir ist heute früh, als ich ins Büro gekommen bin, aufgefallen, dass auf meinem Schreibtisch eine halb volle Kaffeetasse nach dem gestrigen Tag stand und sonst ein paar Ordner und mehrere Stifte kreuz und quer auf dem Tisch lagen. Gestern haben Sie den ganzen Tag an meinem Schreibtisch gearbeitet.“ Dann beschreiben Sie die
„A“ d.h. – Auswirkung der Situation auf Sie: „Für mich hat es bedeutet, dass ich meinen Arbeitstag mit dem Aufräumen beginnen musste. Es hat mindesten 15 Minuten gedauert, bis mein Schreibtisch wieder sauber und ordentlich war.“
Der nächste Schritt wird mit dem Buchstaben „G“ beschrieben.
„G“ – bedeutet, dass Sie eigene Gefühle benennen, die Sie dabei spürten: „Ich bin sauer/ genervt“ oder vielleicht „enttäuscht“, „dass Sie den Schreibtisch nicht aufgeräumt haben, was ich als selbstverständlich erachte.“ Sie können die Sätze auch mit: „„Ich fühle mich…“, „Mir geht es gefühlmäßig…“ beginnen („Ich fühle mich enttäuscht, …).
Zugegeben – dieser Schritt ist für die meisten Menschen ungewöhnlich und manchmal irgendwie unüberwindbar. Viele Führungskräfte sagen mir, dass man am Arbeitsplatz über Gefühle nicht spricht bzw. sprechen soll. Hmm…was denken Sie darüber? Sind Sie der gleichen Meinung? Ich verstehe, dass es schwierig ist, über Gefühle zu sprechen. Allerdings finde ich ein sachliches „Ich fühle mich schon ein wenig enttäuscht, dass…“ (wir können dabei den Satz mit dem Wort „ein wenig“ abschwächen) besser als den Satz „Was ist hier los?! Was soll das hier?!“ oder „Was haben Sie für ein Chaos auf meinem Schreibtisch hinterlassen?! Das ist unmöglich!“. Diese Sätze werden meistens nicht sachlich, sondern mit einer gehörigen Portion Aggression in der Stimme ausgesprochen. Sie brauchen dann nicht mehr über Ihre Gefühle zu sprechen – sie sind deutlich in Ihrer Stimme zu hören. Somit empfehle ich, lieber über die Gefühle sachlich zu sprechen, als diese unsachlich zu zeigen. Allerdings kann das Modell eventuell auch ohne diesen Schritt ganz gut funktioniert.
Der entscheidende ist der nächste Schritt „E“, in dem Sie dem Gegenüber eine Chance geben, sich dazu zu äußern und Stellung zu beziehen. Mit diesem wichtigen Schritt hören Sie mit Ihrem Monolog auf und beginnen einen Dialog auf Augenhöhe, in dem Sie die Person fragen, wie Sie es sieht:
„E“ – Sie erfragen d.h. Sie fragen (mit einer einfachen, aber doch einer magischen Frage): „Wie sehen Sie das?“ oder „Wie sieht die Situation aus Ihrer Sicht aus?“ oder „Welche Wahrnehmung haben Sie?“
Damit wird die Person zu einem Gesprächspartner und zu einem Subjekt, deren Meinung für Sie interessant und vor allem wichtig ist, um den Konflikt beizulegen. Hier hat Ihr Gegenüber die Möglichkeit, sich sofort zu entschuldigen oder eine Erklärung zu geben. Egal welche Geschichte Ihnen vorgetragen wird, die Sie glauben oder nicht: Es ist wichtig, dass die Person sich nicht beleidigt oder verletzt fühlt. Nur so haben Sie die Chance, im letzten Schritt eine Lösung für die Zukunft zu finden und bei der jungen Person sogar einen (aus Ihrer Sicht) „Erziehungsauftrag“ abzuschließen. Bei anderen Menschen können Sie einfach die andere Perspektive erfahren und ins Gespräch kommen, ohne dass ein Wortgefecht entsteht. Denn sonst sind am Ende alle beleidigt, verletzt oder „eingeschnappt“ und nicht mehr bzw. für den Moment nicht miteinander reden wollen.
Falls Sie bis hierhin alles richtig gemacht und das Modell genutzt haben, steht dem guten Ende nichts entgegen. Der letzte Schritt in dem Modell ist der Buchstabe:
„S“ wie – Schlussfolgerungen vereinbaren.
Jetzt können Sie gemeinsam Lösungen suchen, erarbeiten, gegenseitig vorschlagen, bis am Ende eine Vereinbarung getroffen wird, die alle friedlich annehmen, ohne dass ein kritisches Feedback in einem Konflikt eskaliert. Dabei sind folgende Fragen, die Sie sich innerlich im Vorfeld stellen können, hilfreich: „Wie könnte eine Lösung aussehen?“, „Was wünscht sich der andere?“, „Was wünsche ich mir?“, „Wie werden wir in Zukunft mit solchen Situationen/miteinander umgehen?“
Wie finden Sie das Modell? Die meisten Menschen finden es zwar herausfordernd, aber doch hilfreich. Nachdem sie es ausprobiert haben, erzählen viele Teilnehmende, dass das Modell sehr gut funktioniert, aber es ein wenig Zeit braucht, trainiert zu werden. Es ist nicht üblich, in unserer täglichen Kommunikation diese Schritte zu gehen. Aber es lohnt sich, wenn wir den Büroalltag gut und konfliktfrei gestalten möchten.
Und das wünsche ich Ihnen vom Herzen: eine friedliche, freundliche und konfliktfreie Atmosphäre im Büroalltag.
Bleiben Sie dabei gesund, neugierig und bleiben Sie uns mit Ihrem Interesse an neuen Themen und Perspektiven stets erhalten.
Ludwika